Die Prinzipien des Krav Maga

Der Effektivität des Krav Maga hängt eng mit der Geschichte des Systems zusammen, welche mittlerweile – auch von uns – gut erforscht ist (Körner, Staller, & Mor, 2019; Mor, 2018; Schaflechner, 2021). Dabei hatten viele Personen einen wichtigen Anteil an der Entwicklung: Darunter Moshe Feldenkrais (1904 – 1984), Mashwe Bashe-Dinam (1902 – 1953), Gershon Kofler (1906 – 1941), Marcus Yehuda (1912 – 1945) und Imi Lichtenfeld (1910 – 1998). Während Imi Lichtenfeld in der breiten Öffentlichkeit als der „Gründungsvater“ des Krav Maga gefeiert wird, legen neuere Untersuchungen nahe, dass die Grundlagen des Krav Maga auf Mashwe Bashe-Dinam zurückgehen. In seinen frühen Werken (Bashe-Dinam, 1938, 1943), welche sich auf Überlegungen von Moshe Feldenkrais (Feldenkrais, 1931) und seine Kampferfahrung in realen Auseinandersetzungen sowie dem Training der paramilitärischen Untergrundorganisation „Hagana“ berufen, legt Bashe-Dinam bereits das Wesen des Krav Maga dar. 

„Das sind die Prinzipien von dem, was ich Krav Maga nenne.“

 Mashwe Bashe-Dinam (1938)

Auch der Begriff „Krav Maga“ findet hier erstmalig Erwähnung. Die Prinzipen dessen, was er als קרב מגע (Krav Maga; „Kontaktkampf“) bezeichnet, beschreibt Bashe-Dinam dabei in der Dualität von sich selbst schützen (überleben) und dem Schutz der Gesellschaft (schützen). Ihm geht es dabei darum, die Kompetenz für die eigene Sicherheit zu schaffen, dabei aber nicht zu weiterer Eskalation von Gewalt in der Gesellschaft beizutragen. Diese Dualität – das eine mit dem anderen (und ohne geht es nicht) – fasst er in einer kompakten Formel zusammen: 

„Don’t (get) hurt“ – Lass dich nicht verletzten und verletze auch nicht.

 Mashwe Bashe-Dinam (1938)

Bashe-Dinam hat damit ein wegweisendes Prinzip formuliert, das bis heute in einer reduzierten und einseitigen Form Karriere gemacht hat. Imi Lichtenfeld gab lediglich „Don’t get hurt“ – Lass dich nicht verletzten – als Universalprinzip aus (Staller, 2018). Die andere Seite („Don’t hurt“ – verletzte nicht), findet sich bei Lichtenfeld nur in abgeschwächter Form: „Be proficient, so you don’t have to kill“ (Lichtenfeld & Yanilov, 2001). Die umsichtige deeskalative Ausrichtung, wie von Bashe-Dinam ausdrücklich in der Dualität von „Dont (get) hurt“ angelegt, findet sich bei Lichtenfeld und der ihm folgenden Krav Maga Tradition nicht.

Die zentrale Rolle Bashe-Dinams für die Entwicklung des Karv Maga zeigt sich noch an anderer Stelle. In einem weiteren überlieferten Werk mit dem Titel „Core of practical unarmed combat and its Teaching“ (Bashe-Dinam, 1943), liefert Mashwe Bashe-Dinam eine weitere wesentliche Denkfigur mit Blick auf Selbstverteidigung und Training: 

„Es könnte auch anders sein – nur nicht beliebig“.

 Mashwe Bashe-Dinam (1943)

Das Bewusstsein, dass Dinge wie Techniken, Ausführungen, Lösungen aber auch Trainings- und übungsformen so sind wie sie sind, aber auch anders sein könnten – je nach Rahmen, in dem sie stattfinden (die Gewalt- oder eben Trainingssituation) –  ist von enormer Sprengkraft.  Bashe-Dinam legt damit nichts geringeres als den Grundstein für die Offenheit („es könnte auch anders sein“) und gleichzeitig Geschlossenheit („nur nicht beliebig“) des Krav Maga Systems. Die Klarheit, Einfachheit und praktische Relevanz des Gedankens kommt nicht von ungefähr; sie liegt maßgeblich in der Entstehungsgeschichte des Krav Maga begründet.